„Wir müssen die Erde enkeltauglich machen“
Unternehmerfrühstück „viertelvoracht“ zu Besuch bei Haus Bollheim in Zülpich – Biohof leistet jährlich über 300.000 Euro an betrieblicher Nachhaltigkeit
Zülpich-Haus Bollheim –Große Freude, sich endlich mal wieder von Angesicht zu Angesicht austauschen zu dürfen, herrschte bei den 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Unternehmerfrühstücks „viertelvoracht“ am frühen Mittwochmorgen auf der Hofanlage von Haus Bollheim bei Zülpich-Oberwichterich. Holger Glück, Vorstandsmitglied der Kreissparkasse Euskirchen, betonte, dass die Freude über die Wiederaufnahme der Veranstaltung der überwiegende Tenor in den Gesprächen gewesen sei, die er geführt habe. „Besonders schön ist es, dass wir heute, nach der Corona bedingten Pause, an den Erfolg unserer bisherigen Unternehmerfrühstücke anknüpfen können, denn die Veranstaltung war wieder einmal rasch ausgebucht“, so Glück.
Die Partnerinitiative von Kreiswirtschaftsförderung und Kreissparkasse Euskirchen mache zum ersten Mal Station bei einem Betrieb für biologisch-dynamischen Landbau, der darüber hinaus im Klimaschutz aktiv sei, sich um Biodiversität kümmere und auch für Erlebnispädagogik und soziales Miteinander stehe.
Landrat Markus Ramers betonte in seiner Begrüßungsrede, dass es gerade das Thema Nachhaltigkeit gewesen sei, welches dazu geführt habe, das Unternehmerfrühstück in Haus Bollheim abzuhalten, denn dort werde nicht erst seit gestern, sondern bereits seit 40 Jahren nachhaltig gewirtschaftet.
Nun ist nachhaltiges Arbeiten, das Ressourcen schont und den Versuch unternimmt, einen innerbetrieblichen organischen Kreislauf zu realisieren, in der heutigen Zeit gar nicht hoch genug einzuschätzen. Doch ohne Kennzahlen geht es auch bei der Nachhaltigkeit nicht mehr. Hausherr Hans von Hagenow war daher froh, dass er in Zusammenarbeit mit der Regionalwert AG Rheinland eine Bewertung der ökologischen, sozialen und regionalen Kriterien seines Hofes vorlegen und somit die Frage „Welche Werte schafft ein ökologisch wirtschaftender Betrieb wie Haus Bollheim über den Verkauf seiner Produkte hinaus?“ sehr detailliert beantworten konnte.
„Auch wenn Bollheim nicht Blueprint für die Transformation der Landwirtschaft sein kann, der Hof zeigt Perspektiven auf und erwirtschaftet derzeit eine betriebliche Nachhaltigkeitsleistung von knapp 332.000 Euro pro Jahr“, so von Hagenow. Dabei lag Haus Bollheim unter den Top 10 der untersuchten Betriebe. Ausschlaggebend für die Regionalwert-Nachhaltigkeitsanalyse und –Leistungsrechnung waren Kriterien wie beispielsweise Tierwohl, Fachwissen, Biodiversität und wirtschaftliche Souveränität. Für alle zugrunde gelegten Kriterien erhielt das Haus Bollheim die Auszeichnung „nachhaltig“ bzw. „stark nachhaltig“.
„Wir müssen die Erde enkeltauglich machen“, davon ist Hans von Hagenow überzeugt. Aber damit dies gelingen könne, müsse sich zum einen der Staat einbringen und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stellen, zum anderen müssten die Konsumenten ihre Gewohnheiten ändern und begreifen, dass ein anderes Kaufverhalten keinesfalls einen Verlust an Lebensqualität, sondern einen deutlichen Zugewinn bedeute. Dabei könne ein Betrieb wie Haus Bollheim nicht zuletzt einen Beitrag zur „Gesundung der Erde“ leisten.
45 verschiedene Gemüsesorten
Von Hagenow konnte mit eindrucksvollen Betriebszahlen aufwarten: So wird der landwirtschaftliche Anbau zu 99 Prozent mit Stickstoff vom eigenen Hof versorgt, auf gut 30 Prozent der Fläche werden Maßnahmen zur Steigerung der Bodenfruchtbarkeit getroffen, und es gibt einen innerbetrieblichen organischen Kreislauf mit Tierhaltung, weite Fruchtfolge und Zwischenfrüchten. Besonders punkten kann der Betrieb auch bei der biologischen Vielfalt. Zum Hof gehören 60 Milchkühe, 60 Rinder bzw. Kälber, 1200 Hühner, 15 Hähne, 11 Ackerbaukulturen und 45 verschiedene Gemüsesorten. Darüber hinaus betreibt Haus Bollheim eine bereits von den UN 2017 ausgezeichnete eigene Hofsortenentwicklung und bewirtschaftet sogar Naturschutzflächen. Fast überflüssig zu sagen, dass der Hof zu 100 Prozent auf Naturstrom setzt und auch über Sonnenkollektoren auf den Stalldächern verfügt.
Besonders freute sich von Hagenow jedoch darüber, dass das auf Regionalität setzende „viertelvoracht“-Team rund um Iris Poth (Kreis Euskirchen), Alexandra Bennau (KSK), Timo Bong (Kreis Euskirchen) und Rainer Santema (KSK) diesmal seinen Hof ausgewählt hatte, da gerade die regional-ökonomischen Aspekte bei Haus Bollheim groß geschrieben würden. So würden nicht nur 65 Prozent der notwendigen Einkäufe direkt aus der Region getätigt, es gingen auch 95 Prozent der Verkäufe in die Region. Besonders bekannt ist Haus Bollheim unter anderem für seine eigene Käserei mit allein 20 verschiedenen Käsesorten, die aus den 400.000 Litern anfallender Milch im Jahr hergestellt werden, sowie für die hofeigene Bäckerei, die ein Drittel des jährlich geernteten Getreides in Backwaren umsetzt.
Bei einem Rundgang konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst ein Bild von Haus Bollheim und der Philosophie einer naturnahen nachhaltigen Landwirtschaft machen. Dabei wurden auch einige Vorurteile ausgeräumt. So ist der Vorzeigebetrieb keinesfalls technikfeindlich. Man verfügt beispielsweise über eine moderne Heutrocknungsanlage, die mit Hackschnitzeln betrieben wird. „Und unsere Kühe werden auch nicht mit der Hand gemolken“, räumte Hans von Hagenow mit einem weiteren Irrglauben auf. Was Haus Bollheim als „Betriebsorganismus“ allerdings von einem konventionellen Betrieb unterscheidet, ist vor allem ein tiefes Wissen um die Bedeutung der Mikroorganismen für die Fruchtbarkeit des Bodens sowie eine Ahnung davon, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ (Goethe).